Wann muss/soll/darf ich mein Haustier einschläfern lassen?
Ist vom Tierarzt erst einmal die Diagnose gestellt, dass das geliebte Haustier todkrank ist, ist es Gewissheit, dass früher oder später der tierische Freund stirbt. Nach der Diagnose beginnt das bange Warten. Es stellt sich die Frage, wann der richtige Zeitpunkt für die Entscheidung gegen das Weiterleben und für den Tod des tierischen Familienmitgliedes ist. Macht dein Haustier doch noch einen munteren Eindruck, frisst, bellt und läuft herum… Den Tag X zu entscheiden, wann das Leben des Haustieres beendet werden soll, ist schwierig zu finden. Niemand möchte die Last auf sich nehmen und das Haustier „töten“ lassen, aber auch nicht unnötiges Leiden verursachen. Wann Haustier einschläfern?
Euthanasie beim Tier – Gründe?
Es ist natürlich klar ein Vorteil, dass Tiere von ihren Leiden „erlöst“ werden können. Auch wenn ein natürlicher Tod angestrebt wird, ist langes Leiden vor dem Tod nicht natürlich. In der Wildnis werden zu kranke Tiere schnell Beute für andere und so wird zu großes Leid abgekürzt. Für Haustiere muss diesen Moment der Besitzer mit der Euthanasie übernehmen, wenn es nicht mehr geht. Das Haustier einschläfern zum richtigen Zeitpunkt ist also eine wichtige Sache.
Ein bisschen provokanter mit dem Umgang des Todes bei uns Menschen verglichen, lassen wir alte und kranke teils jahrelang leiden, obwohl diese den Tod herbeisehnen. Tiere haben also einen klaren Vorteil – der Leidensbefreiung an einem gewissen Punkt. Diese ist auch gesetzlich geregelt: Einerseits wird in § 17 eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren angedroht, wenn ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund getötet wird, andererseits aber auch, wenn das Tier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden dem Tier zugefügt werden. Euthanasie also ja, wann ist von Fall zu Fall zu interpretieren.
Lass dein Tier nicht leiden – begleiteter Tod
Viele Menschen überlassen das Tier mehr oder weniger seinem letzten Schicksal und leisten zu wenig Hilfe. Ein gewissenhafter Umgang mit einem todkranken Tier ist wichtig. Unnötige Schmerzen und Leiden vor dem erlösenden Tod können verhindert werden. Genaue Absprachen mit dem Tierarzt und anderen Personen, die das Tier kennen, können dich abwägen lassen, wie schlimm es um das geliebte Tier steht. NICHT SEHEN und nicht sehen WOLLEN ist bedauerlicherweise viel zu oft ein schmerzhaftes Schicksal vieler Tiere. Es kann viel gemacht werden, um die letzte Zeit für das Tier (und auch den verzweifelten Tierbesitzer) angenehmer zu gestalten. Du solltest nicht auf das Haustier einschläfern warten, sondern bis dahin das beste aus der Situation machen.
Wann beginnt Leiden? Wie viel Leiden ist gestattet? Darf das Tier leiden?
Um beim etwas provozierenden Vergleich mit dem Menschen zu bleiben, kann das Tier aus ethischer Sicht auch nicht sofort bei Diagnose einer unheilbaren Krankheit eingeschläfert werden. Zum Altern gehören körperliche Beeinträchtigungen und Verfall dazu – that’s life. Tiere, die bis ins hohe Alter vollkommen gesund sind und dann aufgrund der Altersschwäche friedlich einschlafen, sind die Seltenheit. Meist treten Tumore oder andere Erkrankungen auf, mit welchen sie einige Zeit leben, bis der Mensch sagt: Jetzt ist Schluss.
Wann Haustier einschläfern lassen? Wie weiß ich, dass mein Haustier unnötig leidet?
Den Zeitpunkt zu finden, wann es plötzlich nicht mehr geht, ist immer schwer zu entscheiden. Ältere Tiere haben auch oft eine oder gleich mehrere Erkrankungen. Eine Empfehlung zum richtigen Zeitpunkt der Euthanasie kann der Tierarzt nur sehr subjektiv einschätzen. Andere Menschen versuchen Rat zu geben, helfen tut dir das aber auch nur teilweise. Du siehst als Tierbesitzer dein Haustier jeden Tag viele Stunden lang und kannst am Besten sagen, ob dein Haustier noch Lebensfreude hat. Natürlich will mancher Tierhalter nicht wahr haben, wie schlimm es wirklich um sein Haustier steht und „übersieht“ schwerwiegende Probleme. Dazu haben amerikanische Wissenschaftler eine Skala entwickelt, um leichter herauszufinden, wann das Haustier einschläfern die bessere Option ist.
Lebensqualitätsskala (von Villalobos, 2011)
Diese Skala von Villalobos (2011) soll insbesondere Tierbesitzer helfen, welche alternde, kränkelnde oder unheilbar kranke Haustiere besitzen. Tieren mit fortgeschrittenen oder wiederkehrenden Krebserkrankungen kann diese Analyse der Lebensqualität helfen, sie vor unnötigem Leiden zu bewahren. Diese leicht zu absolvierende Skala kann dir als Tierbesitzer helfen, den richtigen Zeitpunkt für die Euthanasie deines unheilbar kranken Tieres zu finden. Ein weiterer Vorteil ist, dass dir mögliche Probleme bewusst gemacht werden und du diese damit gezielt verbessern kannst.
Die Lebensqualitätsskala kannst du ganz einfach Punkt für Punkt durchgehen. Das Ergebnis diskutierst du anschießend am besten mit dem Tierarzt und/oder anderen Experten, sowie sonstige dem Tier nahe stehenden Personen. Ob die Lebensqualität bereits zu sehr eingeschränkt ist, ist ein kritisches Thema. Stark am Haustier hängende Tierbesitzer, wollen die traurigen Tatsachen vielleicht einfach nicht wahr haben. Andererseits sehen andere die vorhandene Lebensfreude vielleicht zu wenig. Die Entscheidung, wann eine Erlösung des Tieres besser ist, ist also kompliziert.
Bei der Lebensqualitätsskala (von Villalobos, 2011) können in den 7 Bereichen jeweils 0 – 10 Punkte vergeben werden. Die Spanne reicht von 0= sehr schlecht bis 10= alles ideal.
Hurt – SCHMERZEN
Wie wird der Gesundheitszustand des Haustieres eingeschätzt? Hat das Tier Schmerzen? Atemprobleme? Wird ausreichend Schmerzmittel gegeben?
Unwissen, Befangenheit und Voreingenommenheit können dich Schmerzen übersehen oder nicht wahrhaben lassen. Auch muss bedacht werden, dass dieser Schmerz im Laufe des Tages schwanken kann. Krebspatienten haben zum Bespiel oft insbesondere in der Nacht mehr Schmerzen als am Tag. Gegen Schmerzen gibt es unzählige Therapieansätze, von Medikamenten angefangen, über Akupunktur bis zu alternativen Methoden. Schmerzen sind also in einem gewissen Maße kein Grund für Euthanasie, sondern behandelbar!
Hunger – Appetit
Frisst das Tier genug? Hilft es, wenn dem Tier Futter mit der Hand angeboten wird? Benötigt das Tier eine Ernährungssonde? Oder ist dem Tier oft schlecht bzw. übergibt es sich?
Gerade im Endstadium des Lebens ist eine ausgewogene nahrhafte Ernährung wichtig. Ausreichende Vitamine und Mineralstoffe halten das Immunsystem fit, das gerade dann unbedingt gestärkt gehört. Wissen über das aktuelle Gewicht deines Haustieres und über den Kaloriengehalt der Nahrung können helfen, diesen Punkt gut zu überwachen. Wenn das Tier nicht mehr fressen will, solltest du seine Ernährung überdenken. Vielleicht helfen besondere Schmankerl oder spielerisches Anbieten von Futter, um es zum Fressen zu motivieren. Aber auch eine sanfte Zwangsfütterung mit reichhaltigen Nahrungspasten kann helfen, wieder zu Kräften zu kommen. Genauso wie für den Mensch gibt es auch für alte, kranke Tiere speziell angepasste Nahrungsmittel am Markt (bzw. kann Trockenfutter eingeweicht oder leckere Bestandteile beigesetzt werden).
Hydration – Flüssigkeitszufuhr
Trinkt das Tier genug? Nimmt es genug Flüssigkeit für das individuelle Körpergewicht des Haustieres auf?
Dehydration kann einerseits am Zahnfleisch überprüft werden. Dazu kannst du die Farbe des Zahnfleisches betrachtet (eher bleich oder gesund rötlich) und ob es nach einem leichten Druck mit dem Daumen darauf wieder schnell Farbe bekommt.
Andererseits kannst du Haut am Körper leicht mit den Fingern wegziehen, sodass Falten entstehen. Gehen die Falten schnell (innerhalb von 3 Sekunden) zurück, ist alles in Ordnung. Dauert es länger bis die Haut wieder in die Ausgangsposition geht, besteht Verdacht auf Dehydration.
Hygiene – Körperpflege
Wie ist die Körperhygiene? Hat das Tier Verschmutzungen am After? Sind vorhandene Wunden sauber?
Vor allem Katzen mit einem oralen Tumor haben Probleme sich sauber zu halten, dann muss der Mensch helfen. Vorsichtiges Abstreichen des Gesichtes, Pfoten und Beine mit einem Schwamm und verdünntem Zitronensaft kann das Bedürfnis der Körperhygiene stillen. Hunde erfreuen sich aber oft ebenso über solche Behandlungen. Sanfte Reinigung von etwaigen Wunden mit Kochsalzlösungen oder anderen Wundsprays können dabei helfen, Bakterien, die Gewebszerstörung begünstigen, einzudämmen. Bösartige Wunden sind schwer zu behandeln. Halskrausen, Bandagen oder Körperanzüge können eine Selbst-Manipulation durch Schlecken oder Kratzen verhindern.
Happiness – Freude
Zeigt das Tier Freude und Neugier? Ist es zugänglich für seine Umgebung (z.B. Spielzeug, Familienmitglieder)? Oder ist das Tier deprimiert, einsam, ängstlich, gelangweilt bzw. eingeschüchtert?
Bei Isolation bietet sich an, das Tier zeitweise in den Aktivitätsbereich, wie Küche, Wohnzimmer etc. zu holen, um es am Familiengeschehen teilhaben zu lassen. In Programmen der Krebstherapie von Kindern ist spielerisches Vorgehen längst an der Tagesordnung. Genauso sollte totkranken Haustieren Momente von Freude und Spass geboten werden. Streicheln, Anreden und Spielen sollten also trotz der misslichen Lage nicht übersehen werden. Freude ist ein wichtiger Part, der motiviert am Leben bleiben zu wollen.
Mobility – Beweglichkeit
Kann das Tier ohne Hilfe aus dem Liegen hochkommen? Braucht es menschliche oder mechanische Hilfe zum Aufkommen? Will das Tier noch spazieren gehen? Hat es Krampfanfälle oder stolpert oft?
Die Größe und das Gewicht deines Tieres beeinflusst sehr stark die Problematik der Mobilität. Wohingegen kleinen Hunden oder Katzen leicht geholfen werden kann, ist dies bei größeren Hunden und anderen großen Haustieren mit mehr Aufwand verbunden. Nicht mehr aufstehen zu können beeinflusst unabdingbar das Absetzen von Kot und Urin. Regelmäßige Umlagerung zur Vermeidung von Wundliegen und Hilfe beim „Geschäft“ können benötigt werden. Auch kann ein orthopädisches Hundebett zur Entlastung der alten, kranken Knochen angeschafft werden.
Großartige Hilfsmittel für Tiere, welche in der Mobilität eingeschränkt sind, können Produkte, wie Gehhilfe für Hunde zum Laufen und/oder Treppensteigen oder Rampen zum Ein-/Aussteigen aus dem Auto sein. Auch können Hundewagen, zugegeben auf den ersten Blick etwas exotisch, dem geheingeschränktem Haustier ermöglichen trotzdem an längeren Spaziergängen teilzunehmen.
Damit kannst du Mobilität, Freude und Wohlbefinden auch bei Einschränkungen aufrechterhalten.
More good days than bad days – Mehr gute als schlechte Tage
Mehr gute Tage, als schlechte sollten die Regel sein. Trifft das zu?
Wenn sich dies umkehrt und die schlechten Tage überwiegen, könnte die Lebensqualität zu gering sein. Das bedeutet Leiden und das Haustier einschläfern zu lassen ist die bessere letzte Lösung.
Wenn dein Tier mehr als 3 bis 5 schlechte Tage hintereinander hat, ist eine gute Lebensqualität nicht mehr vorhanden und Zeit das Tier gehen zu lassen. Diese Skala zur Analyse der Lebensqualität kann dir helfen, jeden Tag besser einzuschätzen.
Total Punkte – ERGEBNIS
Diese Punkteskala ermöglicht es den emotional gebundenen Tierbesitzer rational denken zu lassen und ohne schlechtes Gewissen und Verwirrung ein mögliches Haustier einschläfern abschätzen zu können. Wenn mehr als 35 Punkte in Summe errechnet werden, kann von einer ausreichenden Lebensqualität ausgegangen werden und eine Euthanasie ist (noch) überflüssig. Bei Erreichung von weniger als 35 Punkten muss den Tatsachen ins Gesicht gesehen werden: Das Haustier einschläfern zu lassen ist ratsam, um ihm unnötiges Leid zu ersparen. Aus den Ergebnissen kannst du aber auch Problempunkte finden und dir so Verbesserungen überlegen.
Verbesserte Pflege und Vorkehrungen zur Steigerung des Wohlbefindes
Wenn eine Operation aufgrund der schlechten Prognose oder aufgrund finanzieller Probleme des Besitzers nicht gemacht werden, ist die letzte Wahl abwarten und anschließendes Einschläfern des geliebten Haustieres. Um die letzte Zeit sowohl für Besitzer, also auch Haustier möglichst schön zu gestalten, ist eine Planung der Versorgung des unheilbar kranken Haustieres empfehlenswert.
Eine gut gemanagte und überlegte Palliative-Pflege ist nicht nur bei schwerkranken Menschen wichtig, sondern auch bei Haustieren. Als vollwertige Familienmitglieder soll die letzte Zeit auch Tieren möglichst schön gestaltet werden, um Besitzer und Tier noch gemeinsame schöne Stunden, Tage und Wochen erleben lassen zu können. Auch wenn die Zeit schwer ist, denkt man danach trotzdem gerne zurück.
Fazit – Entscheidungsfindung Haustier einschläfern
Bei Überlegungen von palliativer Behandlung für das Haustier und nicht sofortige Euthanasie haben die Besitzer in der Regel eine besonders enge Beziehung zum Tier. Gefühle, wie Angst und Trauer gehören dazu. Die Hoffnungslosigkeit und die Befürchtung der ungenügenden Hilfestellung und Behandlung des todkranken Tieres zehren an den Nerven. Gerade für finanziell schwache Menschen ist eine teure lebensverlängernde Therapie des Haustieres eine schwer zu treffende Entscheidung. Dennoch sollte alles Menschen mögliche getan werden dem Tier zu helfen, ist es doch über die Jahre ein treu ergebenes Familienmitglied geworden. Mit der Lebensqualitätsskala von Villalobos (2011) kannst du besser ermitteln, ob das Weiterleben deines Haustieres noch sinnvoll ist, oder das Haustier einschläfern die bessere Erlösung ist.
Entscheidung finden… fällt schwer
Die Endphase eines Lebens ist nie leicht, kann aber, wie du in diesem Blog gelesen hast, durch wenige Handgriffe enorm erleichtert und verschönert werden. Schreibe am besten alle Punkte auf, damit du dir einen Überblick verschaffen kannst und sprich mit Freunden und Familie über die anstehende Entscheidung. Ich wünsche dir und deinem Tier auf alle Fälle alles Gute, deine Doris von Tierperspektive.
Zum Weiterlesen: Nach dem Tod des Haustieres.
Literatur:
Turner, W. G. (1998). Euthanasia of the Companion Animal: Understanding the Pet Owner’s Experience. Ohio State University.
Villalobos, A. E. (2011). Quality-of-life assessment techniques for veterinarians. Veterinary Clinics of North America – Small Animal Practice, 41(3), 519–529. http://doi.org/10.1016/j.cvsm.2011.03.013