Dominanztheorie beim Hund – ein überholtes Konzept?
Der Grundgedanke der Dominanztheorie für unsere Haushunde stammt ursprünglich von dem Schweizer Verhaltensbiologen Rudolf Schenkel, der in den 30er und 40er Jahren Wölfe in Gefangenschaft beobachtete. Er kam zu dem Schluss, dass Wölfe unbedingt kämpfen müssen, um ihre Rangfolge zu klären. Diese Studie wurde seither einfach ohne viel Nachdenken auf den Haushund und die Mensch-Hund-Beziehung übertragen und angewandt, um die Frage “Wie zeige ich meinem Hund, dass ich der Chef bin?” zu beantworten.
Dabei wurde in späteren Studien diese Theorie widerlegt, weil die untersuchten Wölfe durch die Gehege-Haltung kein natürliches Verhalten zeigten. Die anschließend beobachteten freilebenden Wölfe verhielten wie fürsorgliche Eltern, nicht wie konkurrierende Alphatiere. Das Wolfspack besteht in der Regel aus einem erwachsenen Paar mit ihren Nachkömmlingen. Die weiblichen Tiere haben die Aufgaben der Jungenaufzucht und Verteidigung, die Männchen sind mit Futtersuche und Verpflegung ihres Rudels mit Futter beauftragt. Manchmal kann so ein Wolfspack auch aus mehreren solchen Familien bestehen.
Wie zeige ich meinem Hund, dass ich der Chef bin? – Aggressives Verhalten und dominieren?
In vielen Köpfen hält sich dennoch fest der Glaube, dass Hunde dominiert gehören. Es muss ihnen gezeigt werden, wer der Boss ist. Trainingsmethoden, die auf Angst, Einschüchterung und Schmerzen beruhen werden angewendet, um das Verhalten der Hunde zu verändern. Dafür spricht dann auch noch, dass durch diese Methoden bei einigen Hunden eine vermeintlich schnelle Besserung des problematischen Verhaltens erzielt werden kann. Wenn es nicht klappt werden die Hunde als stur, unverbesserlich und dickköpfig hingestellt. Und was diese Dominanz-Methode langfristig mit der Mensch-Hund-Beziehung anrichtet? Daran denken dabei die wenigsten.
Wie zeige ich meinem Hund, dass ich der Chef bin? – Korrekturen im Verhalten?
Hunde mit einem gemäßigten Temperament nehmen diese Korrekturen, wie ein Zuppeln an der Leine, Runterdrücken in den Sitz oder Zurückdrängen zur Kenntnis, werden aber mit der Zeit vom angewendeten Druck abgehärtet (desensibilisiert). Je nach Motivationslage des Hundes ist dann eine härtere Strafe nötig. In der Stresssituation kann es außerdem dazu kommen, dass auch ein Hund mit gemäßigtem Temperament in ein aggressives Verhalten fällt und Contra gibt. Und was macht man dann? Den Schwanz einziehen auf keinen Fall, oder? Dann würde man ja dem Hund die Alpha-Rolle überlassen. Das Versuchen zu konkurrieren und kämpfen ist also generell eine schlechte Idee, weil man irgendwann eben Kämpfen muss, wenn man den Hund ständig herausfordert und reizt.
Wie zeige ich meinem Hund, dass ich der Chef bin? – Nicht durch Zwang!
Klar, der Hund stammt vom Wolf ab, aber es sind seither mindestens 20.000 Jahre vergangen. Hunde sind soziale Lebewesen, die an dem Wohl der Gruppe interessiert sind. Und wir sind Menschen, keine Hunde, auch wenn wir uns auf „hündisch“ mit ihnen unterhalten sollen. Stellt man sich gegen den Hund, kämpfen die Vierbeiner einer unnötigen Bedrohung an. Wir wollen ja schließlich nicht den Knochen des Hundes fressen, den wir ihm gerade gegeben haben. Wir wollen dem Hund den Knochen einfach wieder wegnehmen, weil wir eben der Alpha-Mensch sind, der alles bestimmen kann. Diese und andere unkluge Tipps gibt es, wenn man „Unterordnungsübungen Hund“ googelt.
Was richtet Erziehung mit Korrekturmaßnahmen an?
Mit der Erziehung durch Bestrafung kann das ungewünschte Verhalten vorübergehend unterdrückt werden. Der Mensch denkt sich darauf hin „Das klappt!“ und fühlt sich in seinem Erfolg bestätigt. Der Hund lernt aber, dass er vermehrt Angst haben muss – bei allem was er tut, schließlich kann in jedem Moment der Mensch kommen und ein „Neeeeinnnn“ schreien oder schlimmer. Der Hund zeigt Meideverhalten und ein erhöhtes aggressives Verhalten. Eine Erziehung durch positive Verstärkung macht aus uns hingegen einen Anführer, der auf Beziehung, Vertrauen, Respekt und Güte aufbaut.
Hunde die mit Strafe erzogen werden haben ein weiteres Problem:
Sie wissen zwar, dass sie etwas nicht tun sollen und dann bestraft werden, sie wissen aber nicht was sie stattdessen tun sollen. Das bedeutet, dass sie generell weniger tun (also weniger natürliche Verhaltensweisen anbieten), also sich generell weniger bewegen und nichts von selbst machen, sondern in einer Schreckstarre auf Befehle von uns Menschen warten. Im ersten Augenblick klingt so etwas vielleicht schön, will man doch einfach einen gut erzogenen, immer folgsamen Hund haben, aber denkt man näher darüber nach, dann ist es nicht schön.
Wir haben die Hunde in unsere Welt geholt und zwingen ihnen viele unnatürliche Dinge auf, die sie tagtäglich machen oder über sich ergehen lassen müssen – ruhig an der Leine gehen, kein Wild jagen, nicht das Zuhause verteidigen usw. Wir sollten ihnen also lernen mit diesen Dingen auszukommen, ihre Frage „Was soll ich tun?“, zu beantworten, als sie ständig zu verunsichern.
Wie zeige ich meinem Hund, dass ich der Chef bin? – Vorausschauend hündisch klug denken und handeln!
Bei unerwünschten Verhalten wird dann oft gesagt, dass man die Führung übernehmen müsse, weil der Hund die Autorität in Frage stellt. Dabei verhält er sich nicht deswegen unartig, weil er dich nicht respektiert. Der Hund ist zum Beispiel an der Leine außer Rand und Band, hört nicht mehr, zerrt wie wild und bellt. Ja, das stimmt, dabei wäre eine Führung vom Menschen nötig, weil der Hund die Sache selbst in die Hand nimmt und sie augenscheinlich schlecht meistert.
Er braucht aber keinen dominanten, drohenden Draufhauer, sondern einen umsichtigen Menschen, der ihn mit Verstand durch die Situation durchführt. Der wahre Alpha-Mensch muss den Hund also vorrausschauend führen und seinem Schützling lernen, wie man sich in so einem Moment richtig verhält.
Das vermeintlich dominante Verhalten ist also schlichtweg Überforderung,
weil er zu aufgeregt ist,
weil er Angst hat,
weil er unsicher ist oder
weil er es unabsichtlich vom Menschen so gelernt hat.
Der Hund muss also lernen, sich an seinen Menschen zu orientieren, der ihn kompetent durch diese Situation herausführt.
Trainieren statt dominieren!
Wir müssen also in Trainings- bzw. Lebenssituationen so vorausschauend handeln, dass die Hunde die Möglichkeit haben, gute Entscheidungen zu treffen. Das Trainingsziel sollte sein, dass der Hund Erfolg hat und die Trainingssession beendet ist, bevor Frustration auftritt. Dabei muss nicht nur der Erregungslevel beachtet werden, sondern Distanz, Dauer und Ablenkung nach und nach aufgebaut werden.
Beim positiven Training wirft man nicht ziellos mit Leckerlis auf den Hund ein und ignoriert oder toleriert schlechtes Verhalten. Das unerwünschte Verhalten wird genau analysiert und während den Trainingssessions die Umwelt so verändert, dass der Hund ganz automatisch kluge, erwünschte Entscheidungen treffen kann.
Bei Fehlern lässt man also den Hund nicht ins offene Messer laufen, sondern zeigt ihm einen Weg, wie es besser geht. Durch Wiederholungen lernt der Hund, dass der andere Weg weniger Stress und mehr Freude bedeutet, und bietet also dieses Verhalten vermehrt an. Als Bonus verbessern wir dadurch unsere Beziehung zu unserem Hund und entwickeln uns nach und nach ganz automatisch zum vertrauensvollen Anführer – ohne jeglichen Kampf oder Dominieren. Aber das ist leichter gesagt bzw. geschrieben, als getan. Möchtest du mehr über Hundetraining lernen, dann kontaktiere mich. Liebe Grüße, deine Doris von Tierperspektive